Bundespräsident Gauck besucht Hessen

Am 15.3.2013 besuchte Gauck Hessen. In seinen Reden lobte er die aktiven Bürger. In Wiesbaden und Frankfurt versammelten sich aktive Bürger, um auf das Problem des unerträglichen Fluglärms hinzuweisen.

Gauck hat daraufhin die Limousine genommen und auf einen 200 Meter Fußmarsch verzichtet. Denn sonst hätten er sich mit den Menschen unterhalten müssen, die sich zum Teil extra Urlaub genommen haben, um ihm wenigstens mal ihr Problem zu schildern.

Darauf von den Medien angesprochen sagte Gauck wörtlich: „Der Bundespräsident hat mit diesem Thema nichts zu tun. Ich bin da nun wirklich nicht zuständig, das haben wir denen auch glaube ich schon gesagt.“

 

Zeitungsbericht: http://www.wiesbadener-kurier.de/region/wiesbaden/meldungen/12924053.htm

Video: http://www.wiesbadener-kurier.de/region/wiesbaden/meldungen/12924053_video_2228549404001.htm

 

Der Bundespräsident hat daraufhin von zahlreichen Bürgern Post bekommen. Auch von Silke Bolender von der BI Flörsheim-Hochheim. Lesen Sie hier Ihren Brief:

 

 

 

Flörsheim, 23. März 2013  

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

 

ich schreibe Ihnen als Vertreterin der Bürgerinitiative Flörsheim-Hochheim, die sich u.a. gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens, für die Schließung der Nordwestlandebahn und ein längeres Nachtflugverbot einsetzt.

 

Damit Sie einen Eindruck von dem ganzen Ausmaß der Auswirkungen des Betriebs der Nordwestlandebahn bekommen, möchte ich Ihnen beispielhaft dafür meine persönliche Situation schildern.

 

 

Meine Vorfahren haben sich vor langer Zeit in Flörsheim niedergelassen. Lange, bevor es den Flughafen gab. In einen der ältesten Kindergärten Hessens (der kürzlich sein 150jähriges Jubiläum feierte) und den mein jüngster Sohn Luis besucht, ging schon mein Urgroßvater. Meine Wurzeln, meine Heimat, das hat für mich eine große Bedeutung. Darüber hinaus bin ich auf mein soziales Netzwerk hier angewiesen.

 

Wir sind nicht gegen den Flughafen. Wir leben schon lange mit ihm. Doch was hier seit dem 21.10.2011 Menschen angetan wird, sprengt alles Vorstellbare.

 

Die Kinder sind am schlimmsten betroffen, sie sind dem Feinstaub und Lärm den ganzen Tag schutzlos ausgeliefert.

 

Meine beiden Söhne leiden wie viele andere Kinder unter dem Lärmteppich, unter dem Flörsheim seit Inbetriebnahme der Nordwestlandebahn liegt. Sie können nicht mehr in Ruhe schlafen, bei offenem Fenster schon gar nicht.

 

Sich auf Hausaufgaben oder das Lernen zu konzentrieren ist unmöglich und das Spielen im Freien unter dröhnenden und donnernden Flugzeugen wird zur Qual.

 

Schade, dass Sie bei ihrem Hessen-Besuch nicht Halt in einer Flörsheimer Schule gemacht haben. Die Schulen, die hier stehen, dürften aus Lärmschutzgründen an ihren Standorten mehr gebaut werden, weil es zu laut ist. Für den Umbau der Grundschule, in die mein anderer Sohn geht, musste deshalb eine Ausnahmegenehmigung eingeholt werden.

 

Ich selbst kann bei Ostwind kaum einschlafen, werde regelmäßig um 5 wieder geweckt und finde dann sogar bei geschlossenem Fenster mit "Ohrenstöpseln" keine Ruhe mehr.

 

Zu den körperlichen Schmerzen kommt die seelische Belastung. Freunde ziehen weg, das Umfeld verändert sich. Werden wir krank? Was kann ich meinen Kindern zumuten. Welche finanziellen Einbußen bringt ein Umzug mit sich?

 

Im Moment können wir uns einen Wegzug nicht leisten, und wenn, wüssten wir nicht, wohin. Mal abgesehen davon, würden hier ja wieder Menschen einziehen...

 

Was ist meine Gesundheit wert, Herr Gauck? Die meiner Kinder und meiner Familie? Die von Tausenden Menschen hier in der Region? Was darf und bis zu welcher Grenze zugemutet werden. Um welchen Preis? Ist Gesundheit überhaupt verhandelbar? Gegen Profit abwägbar?

 

 

Ich weiß nicht, wie oft ich meine Sorgen und Ängste, meine Wut und meine Verzweiflung in den letzten eineinhalb Jahren in verschiedenen Zusammenhängen vorgetragen habe. In unzähligen Schreiben an die für den Flughafenausbau Verantwortlichen, an Politiker, Volksvertreter, Kirchen, Zeitungen, ich habe es in die Kamera gesagt, auf Flugblätter geschrieben, an Demonstrationen darüber gesprochen, Fremden erklärt.

 

Unermüdlich schreibe und spreche ich es immer wieder aus, in der Hoffnung, etwas damit bewegen zu können.

 

So stand ich als Vertreterin der Bürgerinitiative Flörsheim-Hochheim auch in der Gruppe der Demonstranten an jenem sonnenbestrahlten Tag am 15. März in Wiesbaden, an dem Sie lächelnd (nicht uns, aber den Medienvertretern) erklärt haben, sie wären nicht zuständig und hätten das "denen" auch schon gesagt.

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, diese Aussage hat uns getroffen, geärgert und verletzt.

 

Die Menschen, für die ich spreche und schreibe fühlen sich verlassen, betrogen, dem Krach und den Giften schutzlos ausgeliefert, regelrecht gefoltert. Sie fühlen sich von den politisch Verantwortlichen verlassen, mehr noch: geopfert für wirtschaftliche Interessen und den Profit von ganz wenigen. Dabei sind die einstmals versprochenen 250.000 Arbeitsplätze auf im Moment lächerliche 1700 geschrumpft. Wie sollen die Menschen auf einen Staat vertrauen in einem Land, in dem die Lobbyisten Lärmschutzgesetze schreiben, die Ihren Namen nicht verdienen?

 

Ich bin Beamtin und habe einen Eid auf das Grundgesetz abgelegt und staune, wie das, was hier passiert, möglich sein kann. Und keiner ist oder fühlt sich zuständig.

 

Glauben Sie mir, wir demonstrieren nicht zum Spaß in der Kälte, morgens um 10 in Deutschland (viele hatten sich extra Urlaub genommen), jeden Montag im Terminal (seit anderthalb Jahren) oder zu vielen anderen Gelegenheiten.

 

Verzweifelt nutzen wir jede Chance, um auf unsere Situation, unsere Not aufmerksam zu machen. Jede Aktion, jeder Brief, jede Demonstration ist ein lauter Hilferuf.

Das Gefühl dürfte Ihnen vielleicht bekannt vorkommen.

 

Ein wenig Anteilnahme, ja Menschlichkeit und Güte den friedlichen Demonstranten gegenüber - das wäre möglich und vor allen Dingen anständig gewesen.

 

So bleibt in Hessen trotz strahlendem Wetter der Eindruck von einem abgehobenen kalten Bundespräsidenten, der viele Bürger getroffen und Kinderhände geschüttelt hat, aber an den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes vorbeigegangen ist.

 

Ich würde mich freuen, wenn Sie dazu noch etwas beizutragen oder klarzustellen hätten und stehe Ihnen bei Fragen gerne zur Verfügung. Sie sind darüber hinaus jederzeit eingeladen, sich bei Ostwind selbst davon zu überzeugen, was hier eigentlich los ist.

 

Mag sein, dass Sie als Bundespräsident kraft ihres Amtes nicht viel für uns tun können. Doch mit Ihrer Geschichte und Ihrer Persönlichkeit verfügen Sie über eine nicht unbedeutende Präsenz und Strahlkraft, die Sie für die Menschen in diesem Land, sie sonst keine Fürsprecher und keine Lobby haben, zum Einsatz bringen sollten.

 

Es grüßt Sie aus Flörsheim

 

Silke Bolender für die Bürgerinitiative Flörsheim-Hochheim

 

Aus dem Greenpeace Magazin Ausgabe 4.12

https://www.greenpeace-magazin.de/von-lufthansa-0